Wie schmecken die Blätter verschiedener Zitrusarten und -sorten? Zugegeben, Pflanzenzüchter denken manchmal ein bisschen seltsam, um mindestens zwei Ecken herum. Aber diese Frage interessiert uns, weil wir prüfen wollen, ob der Geschmack der Blätter ev. etwas über die Fruchtqualität aussagen könnte. Wäre ja ganz interessant bei Zitrusarten, bei denen man nämlich 5 – 9 Jahre warten muss, bis sie endlich Früchte tragen. Und immerhin ist bei mindestens einer Zitrussorte schon jetzt das Blatt das Ziel der Zitrusgärtner: Die Kaffirlimette ist nicht wegen ihrer Früchte beliebt, sondern aufgrund des Geschmacks ihrer würzigen Blätter, die aus der südostasiatischen Küche nicht wegzudenken sind.
Inhaltsverzeichnis
- Ausgangspunkt: Der Geschmack von Poncirus trifoliata und einiger von Poncrius abstammender Zitrus-Hybriden
- Die Ausgangsfrage: Was sagt der Blattgeschmack über die Fruchtqualität aus?
- Der Selbstversuch: 21 Blattproben von 21 verschiedenen Zitrussorten – gegessen von Reinhard und Markus
- So schmecken die Blätter von bekannten Fruchtsorten und von Poncirus trifoliata
- Blattgeschmack von winterharten Poncirus-Hybriden.
- Ichang Papeda und Yuzu – was sagen die Blätter?
- Die besten Zitrusblätter
- Fazit der Zitrus-Blattverkostung
Zusammenfassung
Viele winterharte Zitrus-Hybriden wie Poncirus trifoliata oder Sanford Curafora sind für ihren ungewöhnlichen, teils bitteren Geschmack bekannt. Doch lässt sich dieser «Off-Geschmack» wirklich auf die genetische Herkunft zurückführen – insbesondere auf die frostresistente Poncirus? Eine spontane Blattverkostung von 21 Zitrussorten sollte Antworten liefern.
Die Ergebnisse zeigen: Es gibt keine lineare Verbindung zwischen genetischer Nähe zu Poncirus und schlechtem Blattgeschmack. Überraschend: Während Poncirus trifoliata als neutral bewertet wurde, konnten Blätter konventioneller Sorten wie der Orange 'Valencia' oder der Grapefruit 'Marsh' mit intensiver Bitterkeit negativ überraschen. Umgekehrt überzeugten einige Poncirus-Hybriden die winterharte Mandarine 'Sanford Curafora' oder die winterharte Zitronen-Grapefruit 'Ichanglemon' mit mildem und aromatischem Blattgeschmack.
Die zentrale Erkenntnis: Der Geschmack von Zitrusblättern bietet interessante Hinweise für die Frühselektion winterharter Zitrussorten, eignet sich aber nicht als alleiniger Indikator. Zudem könnten einige Sorten – ähnlich wie die Kaffirlimette – auch kulinarisch durch ihre Blätter nutzbar sein. Kandidaten mit Potenzial: Ichanglemon, Mexikanische Limette, Zitrone 'Kováč', und Sanford Curafora.
Bild: Ichanglemon
Bild: Mexikanische Limette
Bild: Zitrone 'Kováč'
Bild: Sanford Curafora
Ausgangspunkt: Der Geschmack von Poncirus trifoliata und einiger von Poncirus abstammender Zitrus-Hybriden
Viele winterharte Zitrussorten sind (teilweise zu Unrecht) verrufen wegen ihrer Off-Geschmäcker, die häufig auf den Elternteil Poncirus trifoliata zurückgeführt werden, der ja auch die Winterhärte einbringt. Die Züchter-Hypothese besagt dann weiter: Je mehr wir konventionelle Zitrussorten einkreuzen, desto besser wird der Geschmack und desto weniger Off-Töne sind wahrnehmbar. Dieser spezielle Geschmack, der viele winterharte Poncirus trifoliata Hybriden und auch einige unserer Switrus®-Sorten begleitet, wird häufig als bitter und adstringierend beschrieben, als manchmal auch «medizinisch» anmutender «Fehlton». Vielleicht ist die medizinische Assoziation gar nicht so weit entfernt, sollen doch die in vielen Zitrussorten (in den Blättern, in der Fruchtschale und im Fruchtfleisch) vorkommenden Flavanon-Glycoside häufig auch sehr gesund sein. Zu dieser Gruppe von Bitterstoffen gehört auch das Poncirin, das sogar nach der winterharten Urzitrusart benannt ist.
Die Ausgangsfrage: Was sagt der Blattgeschmack über die Fruchtqualität aus?
Unser ehemaliger Mitarbeiter und Forscherfreund Raphael Meier schlug kürzlich in einem Post auf LinkedIn vor, dass man eventuell über eine Blattverkostung frühzeitig die Fruchtqualität von Zitrussämlingen bestimmen könnte, lange bevor man die ersten Früchte essen kann. Dies wäre besonders hilfreich bei der Züchtung von winterharten Zitrussorten, die manchmal von ihren Vorfahren (vor allem Poncirus trifoliata) einen bitteren Nebengeschmack erben. Diese bitteren Sorten könnte man dann gleich frühzeitig ausschliessen. Allerdings wäre vielleicht auch einzuwenden, dass Bitterstoffe notwendig zu einigen Zitrusarten gehören: Wären je Grapefruits selektioniert worden, wenn man Bitterstoffe ausgeschlossen hätte?
Der Selbstversuch: 21 Blattproben von 21 verschiedenen Zitrussorten – gegessen von Reinhard und Markus
Jedenfalls möchten wir Genaueres über den Zusammenhang von Blattgeschmack und Fruchtqualität wissen und ernten kurzentschlossen die Blätter von 21 Zitrussorten – von winterharten Zitrus und auch von klassischen Zitrussorten und -arten. Wie schmecken die Blätter? Wir beurteilen erstens die gefühlte Nähe zum speziell bitteren Geschmack von Poncirus trifoliata (1 sehr weit entfernt, 5 schmeckt wie der Bitterton in Poncirus trifoliata Früchten); zweitens versuchen wir uns in einer individuellen gesamtheitlichen Beurteilung des Blattgeschmacks (1 sehr schlecht, fast ungeniessbar; 5 interessant und sehr gut)
Na ja, so richtig wissenschaftlich kann man die Degustation natürlich nicht nennen. Es sind nun mal nur zwei Probanden, Markus und Reinhard. Der Test ist weitgehend blind, auf den 21 Blatt-Proben sind keine Sortennamen erkennbar. Und verlassen uns ganz auf unsere Zitruserfahrung, haben uns also auch nicht zuerst auf Poncirus trifoliata geeicht, sodass wir den spezifischen Geschmack / Geruch sicher wiedererkennen würden.
Bild: Nach jeder Probe müssen wir den Geschmack mit Wasser neutralisieren
So schmecken die Blätter von bekannten Fruchtsorten und von Poncirus trifoliata
Dabei sind wir schon bei den Resultaten: Poncirus trifoliata wird zwar von beiden Probanden als Poncirus-ähnlich erkannt (4 und 5), aber die Bewertung ist neutral, also nicht besonders negativ (eine 3, zwischen 1 = sehr schlecht und 5 = sehr gut). Offenbar kommen die Blätter von Poncirus trifoliata eher gut an, die Früchte dieser Wildart würden wohl die meisten als ziemlich ungeniessbar beschreiben. Nach der Degustation genehmigt sich Reinhard – getrieben von seiner Forscherneugierde – noch ein Blatt von Flying Dragon, der gedreht wachsenden Poncirus trifoliata-Variante: Diese Blätter sollen gemäss Reinhard wirklich schrecklich schmecken.
Es ist also nicht immer so wie erwartet, manchmal aber doch. Es kommt halt – wie fast immer – drauf an …
Die Resultate gehen so weiter: Die Grapefruit 'Marsh', eine etablierte und beliebte Zitrussorte, beurteile ich als bitter bis ekelhaf, Reinhard als sehr bitter und unangenehm. Gut, dass wir so nur über die Blätter reden … Ich jedenfalls meine, da auch Poncirus zu erkennen (eine 5, also gleich wie Poncirus).
Ähnlich ergeht es uns mit den Blättern der stolzen spanischen Orange 'Valencia late'. Beide Probanden beschreiben den Geschmack als sehr Poncirus-ähnlich, und die Notenbewertung liegt nahe beim Minimum – eine 2 für «unangenehm».
Blattgeschmack von winterharten Poncirus-Hybriden
Und wie sieht es bei den winterharten Sorten aus, denen ja ein negativer Beigeschmack nachgesagt wird – was aber bei den Früchten häufig nicht stimmt. Wie schmecken die Blätter von winterharten Sorten?
Bei den winterharten Abkömmlingen mit Poncirus trifoliata als Vater oder Grossvater (Mutter oder Grossmutter) sind die Meinungen bei 'Thomasville', einer der besten und fruchtbarsten Sorte, geteilt. Ich finde die Blätter lecker, Reinhard war gar nicht begeistert. Bei der Mandarine 'Sanford Curafora' sind wir dann aber wieder der gleichen Meinung: Gut bis sehr gut! (Allerdings spüre ich Ähnlichkeiten mit Poncirus trifoliata, Reinhard gar nicht).
Ichang Papeda und Yuzu – was sagen die Blätter?
Die andere Herkunftslinie von winterhärteren Sorten stammt von den Ichang-Papedas ab, botanisch Citrus ichangensis. Ichang Papeda wird von uns beiden ganz gut beurteilt, weit weg von Poncirus (oder von dem, was wir als negative Geschmackserfahrung bei einigen resistenten Sorten verinnerlicht haben). Bei Ichanglemon ist dann die Beurteilung nochmals besser. Hier könnten wir uns sogar vorstellen, dass die Blätter bewusst für die Aromatisierung von Speisen eingesetzt werden (schönes Zitrusaroma).
Bei Yuzu sind wir uns wiederum gar nicht einig: Yuzu erinnerte Reinhard an Wanzen, ich empfinde den Blatt-Geschmack und Duft als neutral bis gut, stelle mir sogar einen Tee vor, der genauso schmecken würde und sicher sehr gesund wäre. Vielleicht schmecken ja die Blätter wirklich etwas bitter, dann aber wenigstens so, dass man unwillkürlich an gute und wirkungsmächtige Medikamente denken muss.
Die besten Zitrusblätter
Gibt es unter den 21 getesteten Zitrussorten solche, bei denen man die Verwendung der Blätter weiterverfolgen sollte? Das gibt es ja bereits bei der Kaffirlimette, deren Blätter in der asiatischen Küche beliebt sind.
Meine und Reinhards Kandidaten als Blattsorten wären:
- Ichanglemon: gewürzt, scharf, mit einem schönen Zitronenaroma
- Mexikanische Limette: Blätter mit südamerikanischem Temperament: Zitrusaroma + Bitterkeit + intensive Schärfe, sogar leicht brennend
- Mandarine 'Sanford Curafora': die Blätter sondern ein schönes und rundes Orangenaroma ab
- Zitrone 'Kováč': hier verbindet sich etwas Bitterkeit mit einer angenehmen Aromatik, die sogar an eines der berühmtesten Parfums erinnert – an Kölnisch Wasser. Ach ja, Kölnisch Wasser wird ja aus Blüten, Schalen und Blättern der Bitterorange (Citrus aurantium) gewonnen …
Bild: Gewinner oben im Uhrzeigersinn beginnend: Kováč, I.lemon, Mex. Limette, S. Curafora
Fazit der Zitrus-Blattverkostung
Blattgeschmack, Fruchtgeschmack und Schalen-Geschmack sind unterschiedlich und nicht immer eindeutig zuzuordnen. Ebenso wenig gelingt die Zuordnung analog zur Genetik: «Je näher bei Poncirus, desto schlechter» – die Hypothese kann eher nicht aufrechterhalten werden. Im Gegenteil gehören konventionelle Zitrussorten wie die Grapefruit 'Marsh' oder die Orange 'Valencia late' zu den am schlechtesten beurteilten Zitrusblättern.
Viele dieser Off-Töne, die offenbar bei Zitrus eine wichtige Rolle spielen, sind sogenannte Flavanon-Glykoside. Diese sind – gemäss Ki – «eine Klasse von Flavonoiden, die eine Zuckergruppe (Glykosid) an ein Flavanon-Molekül (ein Flavonoid-Typ) gebunden haben. Diese Verbindungen kommen häufig in Pflanzen, insbesondere in Zitrusfrüchten, vor und sind bekannt für ihre gesundheitsfördernden Eigenschaften. Poncirin ist eine dieser Flavanon-Glykoside.» Und ja – Poncirin kommt ganz offensichtlich eben nicht nur bei Poncirus vor, sondern auch bei anderen Zitrussorten und -arten, fast sicher auch bei Grapefruit.
Spannend sind aber die vier Zitrussorten, deren Blättern wir eine intensivere Verwendung zutrauen: Ichanglemon, Mexikanische Limette, Mandarine 'Sanford Curafora' und Zitrone 'Kovac'.
Vielleicht muss deshalb zum Abschluss eine deutliche Warnung ausgesprochen werden: Wenn ihr alle Blätter aberntet, können diese zwar über den Winter nicht mehr abfallen, aber weder die Zitrone 'Kovac' noch die Ichanglemon werden das längerfristig überleben. Wer also doch einmal Früchte ernten und geniessen möchte, der lasse sich nicht zu sehr von den Blättern verführen …