Heidelbeeren gehören nicht nur wegen ihres leckeren Geschmacks, sondern auch aufgrund der gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen zu den beliebtesten Beerenfrüchten weltweit. Während in der Natur viele verschiedene Arten zu finden sind, werden in der Obstabteilung in der Regel sogenannte Kulturheidelbeeren angeboten.
Kulturheidelbeeren (Vaccinium corymbosum) unterscheiden sich von der in Europa wild vorkommenden Form (Vaccinium myrtyllus) durch ihr Fruchtfleisch. Dieses ist bei der Wildform komplett blau gefärbt, Kulturheidelbeeren sind in der Regel innen weiss oder farblos.
Die Kulturheidelbeere entstand ursprünglich aus amerikanischen Wildformen und wurde durch Züchtungsarbeit über die Jahre an die Bedürfnisse des Menschen angepasst.
Bei der Züchtung ist nach wie vor das Kreuzen eine wichtige Technik, um neue Sorten zu erstellen, diese können dann ertragreicher oder widerstandsfähiger sein, eine andere Wuchsform, Farbe, Fruchtform oder einen anderen Geschmack haben. Bei der Kreuzung wird der Pollen einer Pflanze auf die Narbe der Blüte der anderen Pflanze aufgetragen. Die Frucht, die aus dieser Blüte entsteht, enthält die Samen mit den gemischten Eigenschaften der Eltern.
Da wir zuverlässig zweimaltragende Heidelbeersorten entwickeln wollen, legen bei der Züchtung den Fokus unter anderem auf eine frühe Fruchtreife. In diesem Artikel eklären wir, wie wir bei Lubera im Rahmen unserer Heidelbeerzüchtung Heidelbeeren kreuzen.
Wer mehrere Heidelbeerpflanzen zuhause hat, kann im eigenen Garten Heidelbeeren kreuzen und eigene Sorten erstellen. Wer Heidelbeeren kaufen möchte, findet im Lubera-Shop eine grosse Auswahl an guten Sorten.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Wenn wir gezielt Heidelbeeren kreuzen, muss die Mutterpflanze emaskuliert werden (die Staubblätter werden entfernt) und reifer Pollen von der Vaterpflanze gewonnen werden. Der Pollen wird manuell auf die Narbe der Mutter aufgetragen. Bestäubte Triebe werden etikettiert und mit einem Netz eingehüllt, um Fremdbestäubung zu verhindern. Nach erfolgreicher Fruchtbildung werden die Samen geerntet, stratifiziert und ausgesät, wobei zu beachten ist, dass Heidelbeeren Lichtkeimer sind und erst bei Temperaturen über 15 °C keimen.
Hintergründe
Um erfolgreich Heidelbeeren kreuzen zu können, muss man sich ein wenig mit dem Aufbau der Blüten beschäftigen.
Bild: Aufbau einer typischen Blüte, ähnlich der Heidelbeerblüte
Heidelbeeren haben, wie die meisten Pflanzen, in jeder Blüte sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale.
Die für uns relevanten weiblichen Teile der Blüte sind Fruchtknoten mit enthaltener Samenanlage und die Narbe mit Griffel (Stigma). Die männlichen Teile der Blüte sind die Staubblätter (Antheren), bestehend aus Staubfaden und Staubbeutel. Kelch- und Blütenblätter sind nicht geschlechtlich, ihre Bedeutung wird späte erklärt.
Bei der Bestäubung wird, typischerweise durch ein Insekt wie eine Biene, Pollen aus den Antheren einer Blüte auf die Narbe einer anderen Blüte übertragen. Im Fruchtknoten kommt es zur Befruchtung und Samen entstehen. Stammt der Pollen von einer anderen Pflanze, dann spricht man von einer Kreuzung. Die entstandenen Samen enthalten dann sowohl Eigenschaften der Pflanze, auf der sie ausreifen (Mutter), als auch von der Pflanze, die den Pollen spendet (Vater).
Wichtig zu wissen ist ausserdem, dass Heidelbeeren selbstfruchtbar sind, sich also selbst bestäuben können. Diese sogenannten Selbstungen müssen beim Heidelbeeren kreuzen verhindert werden.
Das richtige Timing
Um eine Heidelbeeren kreuzen zu können, müssen für die Elternpflanzen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müssen sich die Staubbeutel der Blüte des Vaters bereits geöffnet haben, bei der Blüte der Mutter muss die Narbe reif sein, also Pollen aufnehmen können. Reife Narben sind oft klebrig und glänzen leicht. Sind allerdings in der Blüte der Mutter Staubblätter geöffnet, kann es zur Selbstbestäubung kommen. Das würde bedeuten, dass sich die Mutter selbst befruchtet hat, eine Kreuzung kann dann nicht mehr stattfinden.
Bild: Verschiedene Entwicklungsstadien (1 – 10) der Heidelbeerblüte
Es ist daher wichtig, sich mit den Entwicklungsstadien der Blüten auseinanderzusetzen. Wie auf dem Bild zu sehen ist, schwillt die Blütenknospe mit fortschreitender Entwicklung immer weiter an, mit der Zeit sind die Blüten- und Kelchblätter leicht anhand ihrer Farbe voneinander zu unterscheiden, die Blütenblätter (Petalen) sind weiss.
Die Blütenblätter der Mutter sollten zum Zeitpunkt der Kreuzung noch geschlossen sein, so kann ausgeschlossen werden, dass bereits Pollen auf der Narbe gelandet ist. Die Stadien 9 und 10 auf dem Bild sollten also nicht als Mutter gewählt werden, hier sind die Blütenblätter geöffnet. Optimal wäre das Entwicklungsstadium 8, aber auch mit früheren Blüten (etwa ab Stadium 6) kann eine Kreuzung versucht werden.
Doch was passiert wann in der Blüte?
Meist ist die Narbe kurz vor oder nach dem Öffnen der Blütenblätter reif, also Stadium 8 – 9. Ebenso beginnen die Blüten etwa zu diesem Zeitpunkt zu stäuben, also Pollen aus den Staubblättern freizugeben.
Allerdings unterscheiden sich die verschiedenen Sorten auch teilweise in den Reifezeitpunkten ihrer Narben und Staubblätter.
Material
- Pinzette (am besten mit dünner, scharfer Spitze)
- Hängeetiketten
- Netzbeutel / Papierbeutel / perforierte Plastikbeutel
- Alkohol mit 70 %
- Stift und Papier
Heidelbeeren kreuzen: Wie wird gekreuzt?
1. Emaskulieren
Auf der Mutterpflanze wird ein Blütenstand mit möglichst vielen Blüten in den Entwicklungsstadien 6 – 8 ausgewählt. Von diesen Blüten müssen alle Staubblätter entfernt werden, um eine Selbstbefruchtung der Blüte zu verhindern.
1.1. Entfernen unpassender Blüten aus dem Blütenstand.
Bild: Entfernen einer zu jungen Blüte aus dem Blütenstand mit der Pinzette
Blüten, die sich in unpassenden Entwicklungsstadien befinden, werden mit der Pinzette entfernt, zu alte Blüten könnten schon mit anderem Pollen bestäubt sein, bei zu jungen Blüten ist die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Bestäubung gering.
1.2. Öffnen der Blüten
Bild: Petalen werden mit der Pinzette abgerissen, einige Antheren werden automatisch mit entfernt
Die für die Bestäubung ausgewählten Blütenknospen werden vorsichtig mit der Pinzette geöffnet. Dazu werden die Blütenblätter mit der Pinzette nahe am Blütenboden aufgerissen und abgezogen. Vorsicht: die Blüten reissen leicht ab.
1.3. Entfernen der Antheren
Die Antheren, die noch nicht beim Öffnen der Blüten entfernt wurden, werden mit der Pinzette abgezupft.
Wichtig: Falls sich bei diesem Schritt Staubbeutel öffnen und Pollen freigesetzt wird, wird die ganze Blüte entfernt und Pinzette und Hände mit Alkohol desinfiziert, um Selbstbestäubungen zu verhindern.
Schritte 1.2 und 1.3 werden für alle Blüten wiederholt, bis der gesamte Blütenstand frei von Antheren ist.
Bild: Komplett emaskulierter Trieb mit mehreren Blütenständen
2. Pollen sammeln
Am männlichen Kreuzungspartner wird nach Blütenknospen gesucht, die sich bald öffnen. Diese enthalten Pollen, der nur von der Vaterpflanze stammen kann, bei geöffneten Blüten besteht die Gefahr, dass fremder Pollen durch Bestäuberinsekten eingetragen wurde.
Leider ist es bei einigen Sorten nicht möglich, geschlossene Blüten für das Sammeln von Pollen zu nutzen, da die Antheren erst nach dem Öffnen der Blüten zu stäuben beginnen. Bei diesen Pflanzen werden auch Blüten im Stadium 9 verwendet.
Bild: Sammeln des Pollens mehrerer Blüten auf dem Fingernagel
Die für die Bestäubung ausgewählten Blüten werden mit der Pinzette vom Vater getrennt und über dem Fingernagel zwischen den Fingern gerollt. Um eine ungewollte Bestäubung oder Selbstung zu vermeiden, werden Pinzette und Hände vor diesem Schritt erneut desinfiziert. Auf dem Fingernagel ist der Pollen gut sichtbar und die gesammelte Menge lässt sich gut abschätzen. Es werden immer mehrere Blüten für das Sammeln des Pollens verwendet, so ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Bestäubung höher.
3. Bestäubung
Der auf dem Fingernagel gesammelte Pollen muss nun auf die emaskulierten Blüten der Mutter aufgetragen werden. Dafür genügt es, die Narben vorsichtig auf den Fingernagel zu tupfen, bis kein Pollen mehr hängen bleibt.
Bild: Bestäubung: der Pollen wird auf alle Narben dieses Triebes aufgetragen
Häufig sind Narben am Tag des Emaskulierens noch nicht komplett reif, es kann sich daher lohnen, erst am Folgetag zu bestäuben. Wir versuchen beim Heidelbeeren kreuzen beide Varianten und vermerken den Zeitpunkt der Bestäubung mit einer Abkürzung auf dem Etikett.
4. Etikettieren
Der bestäubte Trieb wird jetzt mit einem Etikett versehen, um später nachvollziehen zu können, welche Kreuzung hier vorgenommen wurde. Nur so lässt sich später das gewonnene Saatgut auch der richtigen Kreuzung zuordnen.
Welche Informationen auf dem Etikett hinterlegt werden, bleibt jedem selbst überlassen. Zumindest sollten allerdings die Kreuzungspartner vermerkt sein, sowie das Datum, an welchem die Kreuzung vorgenommen wurde. Bei Lubera wird auch die Anzahl der bestäubten Blüten notiert, sowie der Zeitpunkt der Kreuzung als Abkürzung.
Bild: Typisches Etikett: von oben nach unten: Namen der Eltern, Datum, Anzahl der bestäubten Blüten, Zeitpunkt der Bestäubung als Kürzel
5. Isolieren
Nach dem Etikettieren wird der bestäubte Blütentrieb in einen Netzbeutel, eine Papiertüte oder eine kleine Tüte aus perforiertem Plastik eingepackt.
Bild: Isolieren des Blütentriebs mit einem Netzbeutel
Das soll verhindern, dass weitere Insekten die Blüten anfliegen und mit unbekanntem Pollen bestäuben.
Dieser Schritt ist nur notwendig, wenn man Selbstbestäubungen absolut ausschliessen möchte. Da die Blüten nach dem emaskulieren keine Blütenblätter mehr haben, werden sie von bestäubenden Insekten selten besucht.
Kreuzungen in Isolierzelten mit Bestäuberinsekten
Neben den Handkreuzungen werden bei Lubera parallel auch Kreuzungen durch Hummeln durchgeführt. Dafür werden Pflanzen in Gruppen zusammengestellt und mit einem engmaschigen Netz eingehüllt.
Unter dem Netz wird ein Hummelvolk platziert, und jeden Tag von einem Isolierzelt ins nächste versetzt.
Pflanzen, die gemeinsam unter einem Netz stehen, können sich potenziell gegenseitig bestäuben.
Das bedeutet, dass alle Pflanzen unter einem Netz gleichzeitig als Vater und als Mutter für einander funktionieren. Dabei ist, wenn später Samen genommen werden, immer die Mutter bekannt (Pflanze, von der die Früchte stammen), während der Vater unbekannt bleibt. Ein gewisser Anteil der Samen kann ausserdem durch Selbstung entstehen.
Bild: Isolierzelte: je drei bis 6 Pflanzen stehen zusammen
Der Vorteil dieser Methode ist, dass durch die Hummeln eine sehr grosse Anzahl an Einzelkreuzungen erledigt wird, ohne Zutun der Züchter. Auf diese Weise können wir mehr Heidelbeeren kreuzen mit weniger Arbeitsaufwand, auch schwierige Kreuzungen (beispielsweise zwischen verschiedenen Arten) haben eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit, da Hummeln viel effektiver bestäuben als der Mensch es von Hand kann.
Durch die vergleichsweise geringe Anzahl an Blüten kann es unter diesen Netzen vorkommen, dass die Insekten die Blüten zu oft besuchen. Das kann die Blüten beschädigen, es kommt dann nicht zur Bestäubung, die betroffenen Blüten sterben ab.
Wie geht es nach der Bestäubung weiter?
Nach dem Bestäuben benötigen die Pflanzen etwas Zeit, bis eine Fruchtbildung erkennbar ist. Besonders wichtig ist es, sich in dieser Phase gut um die Pflanzen zu kümmern. Jeglicher Stress, sei es durch falsche Temperaturen, zu wenig oder zu viel Wasser oder durch den falschen pH-Wert im Boden kann zum Abwurf von Blüten führen.
Irgendwann verdickt sich der Fruchtknoten merklich und schliesslich wachsen Früchte an den bestäubten Trieben.
Wer sich weiterhin gut um seine Kreuzungspflanzen kümmert, kann später die reifen Früchte ernten.
Hier gut darauf aufpassen, die Früchte immer mit zugehörigem Kreuzungsetikett zu ernten, nur so kann man später nachvollziehen, welche Samen aus welcher Kreuzung stammen.
Die Samen der Heidelbeerkreuzungen können auf unterschiedliche Arten vom Fruchtfleisch getrennt werden. Handelt es sich um geringe Mengen, bietet es sich an, die Samen mit einem Messer aus den Früchten zu kratzen und in einem Sieb abzuwaschen.
Zwei Informationen sind für die Aussaat von Heidelbeersamen wichtig, zum einen sind Heidelbeeren Lichtkeimer, das Saatgut darf also nicht mit Substrat bedeckt werden. Ausserdem benötigen die Samen nach der Aussaat eine Kälteperiode um ihre Dormanz abzulegen. Das gelingt am besten, indem man die Aussaatschalen an einem kalten aber frostgeschützten Ort im Freien aufstellt. Alternativ können die Samen im Kühlschrank bei 1 – 5 °C im gequollenen Zustand (also z.B. in feuchtem Sand) stratifiziert werden.
Die Keimung beginnt, sobald die Temperaturen über 15 °C steigen, kann sich aber in die Länge ziehen. Die Sämlinge werden später als bei anderen Pflanzen üblich pikiert, also erst nachdem sie eine Höhe von etwa zehn Zentimetern erreicht haben.
Die Sämlinge werden weiterhin kultiviert, erst viel später werden die Unterschiede zwischen den Genotypen sichtbar. Interessante Sämlinge können über Stecklinge oder Steckhölzer vermehrt werden.