Dass die Familie der Rosengewächse EINE Familie ist, dass Himbeeren und Äpfel, Brombeeren und Pfirsiche etwas gemeinsam haben sollen, ist meist nur sehr schwer verständlich. Und der botanischen Feinheiten und Haarspaltereien sind definitiv viel zu viele, als dass man da tiefer eindringen möchte.
Manchmal aber wird die Verwandtschaft schlagartig klar, wie etwa bei der doppelten, gefüllten Blütenform der Lachsbeere, der Rubus spectabilis. "Spektakulär!", ist man versucht auszurufen, und dann gleich die nächste Assoziation: Wie eine gefüllte englische Rose, eine Himbeerrose, oder besser noch: wie eine Rosenhimbeere, so sieht diese wunderschöne Blüte aus.
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Diese überraschende Verbindung zwischen Himbeere und Rose hatte ich übrigens schon einmal, wenn auch auf eine andere Art und Weise: Die französische Strauch- und Kletterrose Guy Savoy hat einen deutlich feststellbaren Himbeerduft und im Hotelgarten bei Malicorne, ganz nahe beim Sitz der Züchter-Baumschule Delbard, sah und fotografierte ich vor über 10 Jahren ebendiese Rose zusammengewachsen mit einem Himbeerstrauch – dazu noch mit reifen Beeren. Das Gedächtnis, vor allen das Bildgedächtnis, entscheidet ganz selbständig, welche Geschichten es für wichtig und speicherwürdig hält.
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Thema: Pflanzenportraits
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Thema: Himbeeren
Die Himbeere, die blüht wie eine Rose, die gefüllt blühende Rubus spectabilis: Das ist eine – sehr erfreuliche – Laune der Natur, die spontane Mutation einer normalerweise einfachen Blüte. Aber dasselbe ist wohl auch von den englischen Rosen zu sagen … Auch sie gehen letztlich auf die ?natürlicherweise? einfachblühende Wildrose zurück.
Im pazifischen Nordwesten der USA (Washington State, Oregon, nördliches Kalifornien) gehört die auch in der einfachen Form spektakulär schön blühende Rubus spectabilis zu den häufigsten küstennahen Beerenpflanzen. Eher auf der westlichen küstennahen Seite der Kaskadenberge angesiedelt, wachsen sie von der Küste bis auf 2000 m hinauf. Steve, unser Pflanzenjäger an der amerikanischen Westküste schreibt:
"Mostly they grow on the western side of the mountains and up to the Cascade Mountain crest, so there are forms from sea-level to around 2,000 meters or so in the mountains here. So ripening season would vary considerably also depending on the elevation. I do have some contacts over there who might be able to keep an eye out for some better forms. Seems like I recall a purely golden colored berry is common and also reddish ones. Used to eat them a fair bit as a kid. Might be an interesting cross if it should turn out fertile. Wonder if that double flowered form also polyploid. I would think that the raspberry would add considerable flavor to the result. Salmonberry don’t seem to yield heavy though.
Well I usually get up in the mountains a bit and could get a few handfuls in summer probably but I don’t imagine there would be much selection. If I lived in western Washington I would have a lot more of them to look over. I do have a sister out on the coast near the mouth of the Columbia River. She could look for some of those coastal forms, as she likes to pick berries anyway. She also has that coastal black or evergreen huckleberry around, which I always thought was an interesting plant. Seems to favor sand along the coast of Washington and Oregon. V. ovatum I believe. Not sure if it will grow inland, probably needs a very rainy climate as the coast is generally rainy and foggy. I will ask her about salmonberry ripening there at sea-level and quality of fruit."
So funktioniert halt das Pflanzensammeln … und so entstehen auch die Züchtungsideen. Denn auf Steves Züchtungsidee MUSS man einfach kommen, wenn man die wunderschönen Blüten sieht. Übrigens: Die Salmonberries tragen diesen einheimischen Namen nicht etwa wegen der Farbe der Blüten oder Früchte, sondern weil sie genau zur Zeit der Ankunft des Frühlingslachses am unteren Columbia River reifen. Und selbstverständlich verwendeten dann die Indianer die Beeren auch gleichzeitig und zusammen mit Lachs, deshalb die Namenskonstellation. Die Indianer assen auch die frischen Triebe der Lachshimbeere, etwas was ich noch vor mir habe …
Die Lachshimbeere ist ein Floricane-Himbeertyp, blüht und fruchtet also an den letztjährigen Trieben, allerdings zeitlich etwas vor unseren Himbeeren. Vor allem scheint die Zeit von der Blüte bis zur Fruchtreife nochmals deutlich kürzer zu sein als bei den Gartenhimbeeren. Wenn ich mich richtig an meine Himbeer-Genetik-Lektüre erinnere, so wurde Rubus spectabilis auch genau deswegen schon einmal in die Gartenhimbeeren eingekreuzt, vor allem um die Herbsthimbeeren früher reifen zu lassen … Die meist einfachen Blüten der Lachsbeere variieren von pink bis purpurrot, die Früchte von gelb über orange bis zu leuchtend rot. 'Leuchtend' ist vielleicht die wichtigste Unterscheidung zum Aussehen der normalen Himbeere: Die Einzelfrüchte der Sammelbeere glänzen brillant im Licht und scheinen ihre Reife gleichsam auszustrahlen. Als ich gerade vorhin eine Lachshimbeerfrucht fotografierte, hatte ich permanent die Angst, sie könnte gerade noch vor dem Abschluss der Fotosession, beim nächsten Auslöser schon, runterfallen.
Und der Geschmack? Steve schreibt ja selber, dass den Beeren vielleicht etwas das individuelle Himbeeraroma fehlt (und auch, dass die Ernte nicht ganz so reichhaltig wie bei einer normalen Himbeere ist). Aber meine Frucht der gefüllt blühenden Rubus spectabilis, die ich nach dem Fotografieren jetzt endlich ernten und testen kann, ist im ersten Eindruck überraschend süss, süsser als die meisten Himbeeren. Dann folgt ein Eindruck von Knackigkeit, vielleicht weil die leuchtenden Einzelbeeren sozusagen unter dem Zahndruck explodieren, eher aber wegen der Samen, die eben auch knackig wirken. Müsliesser sind es ja heutzutage gewohnt, mit den Beeren auch noch (Getreide-)Samen mitzuessen.
Wenn man wirklich die Kriterien einer Weindegustation auf die spektakulären Beeren anlegen will, dann ist allerding der Abgang eher kurz, nach dem ersten Zuckerschub und dem Eindruck der Crunchiness folgt nicht mehr viel, einfach angenehmer, süsser Fruchtsaft. Wie von Steve angedeutet fehlt das spezielle Himbeeraroma – aber vielleicht habe ich, geprägt von der Kulturhimbeere, auch ganz einfach die falsche Erwartungshaltung.
Aber in jedem Falle bin ich wieder einmal auf eine Pflanze gestossen, die das Gute und Nützliche mit der Schönheit zusammenbringt. Prodesse et delectare, das wollten nicht nur die alten Römer, das wollen auch die Pflanzenzüchter.