Stachelige Rosen, stachelige Stachelbeeren, die meine Oma so liebte – darüber habe ich schon ein bisschen erzählt. Es gab aber noch etwas ganz Stacheliges, ganz Gesundes und ganz… Unangenehmes.
Warum Unangenehmes? Na ja, so kann man das auch nicht sagen. Es war nur für mich als Kind so schrecklich. Wenn wir ES ernten sollten, war ich überhaupt nicht glücklich, zu Oma zu fahren. Wenn ich ES essen sollte, wenn ich krank wurde, war ich gar nicht zufrieden.
Ich spreche vom Sanddorn. Gott sei Dank, es gab nur einen nicht sehr grossen Strauch davon.
Mein Vater sollte alle Äste mit den Beeren abschneiden. Alleine das war für mich schon unangenehm, ich dachte, wie kann man nur so grausam mit den Lebewesen umgehen. Das muss man machen, sagte Oma, sonst bekommt man keine Beeren im nächsten Jahr. "Das wäre doch toll!", dachte ich.
Danach gab Oma ihrer Schwiegertochter (mit dem grössten Vergnügen) und mir (mit Mitleid) die Manikürschere und wir durften unsere schönen Hände kaputt machen. Die Ernte begann: Jede einzelne von unzähligen (!!!) Beerchen sollte vom stacheligen Ast abgeschnitten werden, und danach musste noch jedes kleines Zipfelchen am Beerchen ab. Wissen Sie, wie Sanddorn auf Ukrainisch heisst? – Oblipycha – "von allen Seiten [mit Beeren] beklebt".
Danach war Oma an der Reihe. Sie zerdrückte die Sanddornbeerchen mit einem Holzstab und vermischte sie mit ganz-ganz viel Zucker. Es war wirklich eine Unmenge von Zucker! Um die Sanddornbeeren haltbar zu machen, braucht man eben eine Unmenge von Zucker. Dann füllte sie die Masse in Marmeladengläser und ab in den Keller.
Oma hatte Glück: Da in ihrem Haus eine Apotheke war, gab es in Omas Garten einen tiefen, sehr schönen, kalten, dunklen Keller, wo die Medikamente in speziellen Gefässen lagerten und dann auch Omas unzählige Konfitüren und Ähnliches. Omas Keller ist ein Thema für sich. Er war wirklich eine Rarität aus den Zeiten vor der Oktoberrevolution.
Da die Beeren ein Ananas-Aroma haben, wird in Russland Sanddorn auch Nordananas oder Sibirische Ananas genannt. Na ja, vom Ananas-Aroma habe ich nichts gespürt. Kein Wunder: In der UDSSR gab es gar keine Ananas, naja, doch, für die hochrangigen Kommunisten. Aber auch später, nachdem ich mir in Deutschland Ananas überall im Supermarkt kaufen konnte, war für mich die Parallele nicht nachzuvollziehen.
Bild: Sanddorn 'Botanica' – der Sommersanddorn reift bereits ab August und kann zum Frischverzehr und zur Weiterverarbeitung in allerlei Speisen und Getränke verwendet werden.
Aus Sanddorn machte Oma noch etwas ganz Kostbares. Es gab nur ein ganz kleines Fläschchen davon: Sanddornöl. Wenn ich mir in den Finger schnitt, tropfte Oma mit der Pipette ein bisschen darauf, es brannte nie, nicht wie bei Mamas Jod, und es heilte super. Als Kinder haben wir ganz oft mit Feuer gespielt, weil wir es auf keinen Fall machen sollten. Sanddornöl half bei den Verbrennungen.
Und es gab noch Sanddornsaft. Sobald das Einzelenkelkind anfing zu husten, wurde der Saft mit Honig vermischt – und ab wieder in die Schule. Das Zeug hat leider sofort gewirkt. Ah, liebe Oma, warum nicht 2-3 Pillen aus deiner Apotheke? Und dann 2-3 Tage erstmal keine Schule?
PS: Wir lebten in einer grossen Stadt in der Ukraine, und in den Grossstädten, besonders in der ehemaligen UDSSR, sollten nur Plattenbauten aus Beton stehen.
Oma hatte echt Glück, fast in der Stadtmitte ein Familienhaus, einen Garten und sooo einen Keller zu haben. Und ich hatte mit Oma Glück!
Mehr über mein Glück mit der Oma erfahren Sie in meinem nächsten Beitrag!