Ranka’s Winter im Norden an der Ostsee ist nass und grau und im matschigen, kalten Garten überlegt die Gärtnerin, wo noch Platz für Truthähne wäre und schmiedet Rachepläne für Wühlmäuse und Amseln.
Wenn die Sonne scheint und es im warmen, bunten Garten summt und brummt, ist es leicht Vegetarier zu sein. Jedenfalls zu 99 Prozent. Ganz ehrlich, wer braucht schon Fleisch, wenn man barfuss durch den Garten bummeln kann, und Tomaten, Gurken, Paprika, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Pointillas, Äpfel, Salat und Kräuter ernten kann? Sonne und Blütenduft machen irgendwie friedlich. Aber nun, im Dezember, wo es draussen nur kalt, nass und grau ist (Schnee ist hier an der Küste so selten wie Elche am Bodensee) wird der Geist der Gärtnerin umnachtet und verlangt nach Wildbraten, Rindergulasch und dem obligatorischen Truthahn zu Weihnachten. Aber dies alles wird immer teurer! Auf der Suche nach fleischlichen Dezember-Gelüsten in den örtlichen Supermärkten merkt man schnell, dass der schmale Geldbeutel nicht ausreicht für all die schönen Köstlichkeiten, die an den Fleischtheken für Weihnachten angepriesen werden.
Bild: Sommerliche Tomatenlust: Da ist es leicht, Vegetarier zu sein.
Vom Garten direkt auf den Teller
Warum also nicht den leeren Garten nutzen, um ein Eckchen für Truthähne zu reservieren? Wer bunte Kartoffeln ziehen kann, kann doch wohl auch ein paar Truthähne grossziehen! Oder ein Schwein, wie es die Freunde im Nachbardorf tun? Das frisst ein Jahr lang die Überbleibsel aus Küche und Garten und segnet dann kurz vor Weihnachten das Zeitliche. Aber die Ecke, wo es wohnt, sieht auch – nun ja – schweinisch aus, was bei all unserem Regen hier kein Wunder ist. Truthähne wären da einfacher. Oder Enten. Können die nicht im Sommer die Schnecken essen und im Winter schön knusprig auf dem Tisch landen?
Beerensträucher als Opfer?
Ich stapfe momentan durch den durchnässten Garten, hinterlasse tiefe Spuren im matschigen Lehmboden und überlege, wo ich noch einen Verschlag mit Auslauf für ein doppelnützliches Federvieh hinbekommen könnte. Nur – der Garten ist klein und überall wachsen meine geliebten Beerenbüsche und Apfelbäumchen. Wen soll ich da opfern? Die Cassissima? Auf keinen Fall, das sind meine Lieblingskinder im Garten. Die Stachelbeeren? Never ever! Die süsssaueren Kügelchen gehören einfach zum Sommer dazu. Die Pointillas? Niemals, diese späteste Beerenfreude des Gartens ist der letzte Abschiedsgruss der Natur an den Naschgärtner im Herbst. Unverzichtbar! Die Erstbeeren? Unmöglich! Die sind die erste Vitaminspritze im Frühling! Meine neuen Sanddornbüsche? Die eingefrorenen Beeren retten meinen Vitamin-C-Haushalt im Winter, die müssen bleiben!
Bild: Bunter Gemüseteller aus eigenem Anbau: Truthahnlos glücklich!
Und überhaupt: Wer soll die Truthähne denn um die Ecke bringen? Vorsichtiges Anfragen beim ehelichen Hilfsgärtner hat nur ungläubiges Kopfschütteln zur Folge (besagter Hilfsgärtner ist zwar der friedliebendste Mann auf Gottes Erdboden aber ein ebenso gnadenloser Fleischesser, doch das heisst ja noch lange nicht, dass er so mordlüstern wie die angetraute "Rund-ums-Jahr-mit-Ausnahme-von-Weihnachten-Vegetarierin" ist).
Bild: Redlove Circe Kuchen: Besser als ein Schnitzel.
Alte fliegende und wühlende Bekannte
Apropos Mordlust: Die bezieht nicht nur fette 12-Kilo-Truthähne mit ein, sondern auch Amseln und Wühlmäuse, denn die haben mir das Leben im Sommer extrem schwer gemacht. Besonders die Amseln, die sich hier exponentiell vermehrt haben. Kein Wunder bei all meinen Beerenbüschen und Tomaten (ja, auch die waren nicht sicher vor ihnen). Von den Pointillas habe ich dieses Jahr nur eine Handvoll gesehen (von fünf grossen Büschen, die übervoll hingen mit den köstlichen Beeren!), die Stachelbeeren (auch die gelben, leckeren Solemio) waren über Nacht weg, die Aroniabeeren wurden schon halbgrün/halbblau gefressen und nur, was unter dicken Netzen hing, wie die Johannisbeeren und die Blaubeeren, schaffte es in meinen Mund und meine Kühltruhe. Und auch viele meiner BFF’s (Best Friends Forever) im Garten, die Redloves, wurden am Baum von den schwarzen Mini-Geiern angepickt.

Bild: Gelbe Pointilla Fortunella (mit Blaubeeren): Nur ein kleines Schüsselchen voll für die Gärtnerin. Der Rest landete im Magen der diebischen Amseln.
Und nun, wo das Vogelhaus wieder im Garten steht und ein stark dezimierter Schwarm Spatzen, zwei Meisen und ein Rotkehlchen dort schmausen sollte, verscheuchen die Amselmännchen die kleinen Vögel mit ihren ewigen Futterneid-Kämpfen und der damit verbundenen Aufruhr. Und das, obwohl ich den verbliebenen Kleinvögeln unbedingt helfen will, denn ebenso wie die Bienen sind es Jahr für Jahr weniger Exemplare, die meine winterliche Futterstelle aufsuchen. Irgendwie vermehren sich nur die Amseln hier (und die vermaledeiten Elstern).
Beeren pflanzen vs. Truthahnhälse umdrehen
Auch beim hundertsten Rundgang durch den graunassen Garten, der irgendwie in konstanter Dämmerung vor sich hinzuvegetieren scheint, fällt mir keine Lösung für das Truthahn/Amsel/Elster-Dilemma ein. Trotz aller Mordgedanken wird es doch wohl darauf hinauslaufen, dass ich die Amseln mit durch den Winter hindurchfüttere und auch in Zukunft keinen Truthähnen den Hals umdrehen werde, sondern mich wieder auf das konzentriere, was ich am besten kann: Beeren "züchten". Also eigentlich müsste es ehrlicherweise heissen, das zu pflanzen, was Kobelt und Co. züchten, es wachsen zu lassen und dann zu ernten. Ich habe zugegebenermassen schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich einen alten Strauch im Garten ausbuddele und entsorge, so ein "Pflanzenmord" lastet schon schwer auf meinem Gewissen.
Bild: Redlove Calypso: Des Vegetariers bester Freund.
Mit dem Garten-Krimi der Mordlust frönen
Ich lasse lieber andere morden, als es selbst zu tun. Und in diesem Sinne werde ich mir dieses Jahr zu Weihnachten ein Buch über absolut tödliche Gartenpflanzen wünschen (und da gibt es viele von, nicht nur den bekannt-beliebten Eisenhut!). Und dann werde ich jetzt erstmal den Garten Garten sein lassen und werde meiner Mordlust frönen, indem ich quasi stellvertretend mein lange angedachtes Projekt umsetze, nämlich einen Garten-Krimi zu schreiben – schön blutrünstig und mit vielen giftiggrünen Tipps versehen – den ich dann nächstes Jahr im Rahmen eines Gartenblogs veröffentlichen möchte. Also, wenn Weihnachten vorbei ist und ich wieder vegetarisch-friedlich und beeren-verrückt leben werde. Obst und Gemüse aus dem Garten regt bekanntermassen die grauen Gehirnzellen an.
Bis dahin aber "Guten Appetit" bei allen fleischlichen und fleischlosen Wintergenüssen (ich werde gleich mal das Orangen-Tiramisu von Pascale ausprobieren!) und lasst euch eure Weihnachtsgans gut schmecken, liebe Mitgärtner.