Vertical Farming scheint ein neuer Hype zu werden, ist in aller Munde. Gerade diese Woche war in der Fachpresse zu lesen, dass Bayer (ja genau, die deutsche Chemiefirma, die Monsanto gekauft hat) zusammen mit einer Singapurer Investmentfirma ein Startup namens Unfold finanziere, das spezielle Gemüsesorte für das Vertical Farming züchtet. Startgeld: 30 Mio. USD. Dieser Beitrag gibt einen kleinen Einblick in die Vorhaben des Vertical Farmings. Wenn Sie Ihr eigenes Gemüse anbauen möchten, finden Sie im Lubera Shop viele Gemüsepflanzen und können diese dort direkt online bestellen.
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Inhaltsverzeichnis
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Thema: Züchtung
So sieht sich Vertical Farming selber
Was ist jetzt eigentlich Vertical Farming? Der Selbstanspruch kann gut aus der Einleitung eines Artikels entnommen werden, in dem einer der Mitgründer des Integrated Vertical Farming-Startups Yasai interviewt wurde:
"Die globale Landwirtschaft verbraucht heute 40% der gesamten Landfläche und 70% der Süsswasserreserven, um 8 Milliarden Menschen zu ernähren. Dies ist weder nachhaltig noch effizient – insbesondere angesichts der stetig wachsenden Erdbevölkerung. Das ETH-Spin-off Yasai erfand Integrated Vertical Farming, um Nahrung für alle zu produzieren, ohne die wertvollen Ressourcen der Erde zu zerstören."
OK, das wussten wir wirklich noch nicht: Vertical Farming löst also sozusagen fast alle Probleme dieser Welt, die im Wesentlichen der Landwirtschaft zuzuschreiben sind…
Das fühlt und hört sich jedenfalls nicht ganz richtig an.

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Die Definition von Vertical Farming
Aber fragen wir nochmals: Was ist Vertical Farming?
Die Definition könnte ungefähr folgendermassen lauten:
Vertical Farming produziert Lebensmittel in einer städtischen Umgebung, in Gebäuden, auf der Basis von Hydrokulturen und unter Gewächshausbedingungen (kontrolliertem Klima), wobei für möglichst viele Prozesse Kreislaufabläufe konstruiert werden (Wasser-Recycling, organische Abfälle etc.). Der Flächenbedarf der Lebensmittelproduktion wird minimiert, indem die Vertikale, der Raum erobert wird. Vertical Farming kann auf verschiedenen Stockwerken übereinander stattfinden, schlimmstenfalls in einer unwirtlichen Umgebung, in Industrie-Ruinen, sogar vielleicht auf dem Mars. (Nebenbemerkung: Dieser Gedankengang entlarvt ganz kurz die defätistische Seite des Vertical Farmings: Es funktioniert auch, wenn wir fast alles andere zerstört haben…). Vertical Farming kann auch auf kleinstem Raum in der Höhe stattfinden, indem Pflanzen seitlich und hängend aus einer Kulturmauer wachsen. Kunstlicht, in diesem Falle wohl LED-Licht, ersetzt die Sonne, die allenfalls noch indirekt die Vertical Farming Container erwärmen darf.
Bild: Vertical Farming mit Erdbeerpflanzen
Was will Vertical Farming?
Das ist zunächst einmal die engere Definition des Begriffs. Der grössere Bogen der Vertical Farming-Story umfasst dann noch einiges mehr… Danach entlastet Vertical Farming die Landwirtschaft, diese muss dann nicht mehr die Umwelt zerstören und kann sich auf die Landschaftspflege konzentrieren und allenfalls – zusagen als Gnadenbrot – die alte bodenabhängige Bioproduktion betreiben. Dank Vertical Farming fallen Transport- und Lagerkosten weg, weil dort produziert wird, wo die Konsumenten wohnen.
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Vertical Farming als neue industrielle Landwirtschaft
Erste solche Vertical Farming Installationen sind schon in Supermärkten präsent, wo in einsehbaren, Kühlschrank-ähnlichen Kästen und Wandverkleidungen Salatköpfe grüner als grün vor sich hinwachsen, als gäbe es nie eine Salatsauce… Will ich wirklich so einen Salatkopf kaufen, möchte ich meine Lebensmittel so wachen sehen? Nun ich weiss, dazu haben wir Konsumenten (und auch wir Bauern und Gärtner) nicht allzu viel zu sagen, hatten wir noch nie. Aber Vertical Farming scheint ziemlich offensichtlich einer industriellen Logik zu gehorchen, die sich ziemlich verdächtig macht, weil sie erstens viel zu viel verspricht, weil sie zweitens nicht zu Ende gedacht ist und drittens weil sie nicht wirklich disruptiv ist, sondern nur einen Layer der Nahrungsmittelkette (die klassische landwirtschaftliche Produktion) durch einen neuen Layer ersetzt.
Die drei Schwächen des Vertical Farming-Konzepts
Erstens will Vertical Farming viel zu viel: So wird die Lösung fast aller Probleme versprochen: Die Ernährung der Weltbevölkerung, die Reduktion des Transports und der damit zusammenhängenden Ressourcen, saubere Landwirtschaft im Metallkasten, Kreislaufmodelle, die allzu verführerisch ans Perpetuum mobile erinnern. Sorry, das ist viel zu viel, das kann keine Technik, auch keine revolutionäre Technik leisten.
Zweitens überschätzt Vertical Farming die Technik und die unterschätzt die damit verbundenen Probleme und ökonomischen sowie sozialen Kosten. Beim Vertical Farming soll Technik vom Menschen verursachte Probleme (auch hier wieder fast alle: Umweltverschmutzung, Überdüngung, Hunger, food waste etc.) lösen. Dagegen habe ich eigentlich nichts: Uns Menschen bleibt auch gar nichts anders übrig, als unsere Probleme mit unseren technischen und geistigen Fähigkeiten zu lösen und zu heilen. Wo ich aber immer ganz vorsichtig werde: Wenn Alles mit Einem gelöst werden soll und wenn eine vernetzte und ganzheitliche Denkweise fehlt. Was passiert also mit der klassischen Landwirtschaft, wenn wir das zu Ende denken, gerade auch in 3.Welt-Ländern? Woher bezieht sie ihre Wertschöpfung? Was passiert mit dem Land, geht es ihm wirklich besser als mit Landwirtschaft (in einer Welt, die weitgehend eine Kulturlandschaft darstellt und von der Präsenz des Menschen nachhaltig beeinflusst und gezeichnet ist)? Was wären die sozialen Folgen? Und ist es wirklich so nachahmenswert, wenn Bauern wie in einigen europäischen Ländern (hier vor allem in Hügelzonen und Bergregionen) zu Landschaftsgärtnern werden. Und wie nachhaltig ist der politische Wille und wie lange reicht das Geld, um solche Staatslandschaften und Staatslandwirtschaften am Leben zu erhalten? Und klassisch ökonomisch: Kann diese high Input-Landwirtschaft langfristig und unter Abschätzung aller Folgen wirklich zu vernünftigen Kosten nachhaltig Früchte und Gemüse produzieren?
Drittens denkt das Vertical Farming die Landwirtschaft zu wenig radikal neu. Die vertikale Landwirtschaft kommt wahnsinnig disruptiv daher, sie ist ganz anders und neu. Allerdings benutzt und kombiniert sie in Tat und Wahrheit ziemlich altbekannte Techniken: Hydrokultur, künstliches Assimilationslicht, Klimasteuerung, Stahl und Glas und wahrscheinlich indirekt auch Sonnenenergie. Alles eigentlich ganz natürlich, aber doppelt und dreifach technisch vermittelt und verwandelt. Vor allem aber übernimmt die vertikale Landwirtschaft, das Vertical Farming eine alte Eigenschaft der arbeitsteiligen Wirtschaft: Die Zentralisierung von Wertschöpfungsstufen und Wertschöpfungsarten. In den meisten Fällen – und nicht zuletzt begründet im hohen Kapitalbedarf – findet Vertical Farming immer noch zentral statt: Es gibt Produktionstürme als ganze Farmen, Produktionseinheiten in Supermärkten (aktuell allerdings eher als Marketinggag…), Spezialisten betreiben und betreuen die hochtechnisierten Produktionsanlagen, der Konsument kauft dann im altbekannten Supermarkt die Frankenstein-grünen Gemüseköpfe, nicht ohne für jedes Salatblatt Margen an Patentbesitzer, Technikowner, Immobilienmagnaten und Supermarktaktionäre abzuliefern. Eigentlich hat sich gar nichts geändert. Eigentlich ist das Vertical Farming zu wenig radikal dezentral und zu wenig praktisch gedacht.
Fazit: Gemischte Gefühle
Ich habe es schon mehrfach angetönt und Sie haben es herausgehört: Ich kann nicht verhehlen, dass viele Elemente dieses technisierten Vertical Farming hochinteressant und für einen Gärtner und Bauern wie mich faszinierend sind; aber es ist halt doch nicht meine Welt, und es ist auch nicht meine Vision. Und überdies beschleicht mich bei diesem Thema immer wieder der geheime Verdacht, hier könnte der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden….
Bild: Vertical Farming mit Gemüse

Home Farming anstatt Vertical Farming
Und was wäre dann meine Vision?
Ja genau, Sie haben es die ganze Zeit auch selber gewusst: Die Alternative ist ganz einfach der Garten, die Lebensmittelproduktion im Garten, im Haus, auf dem Balkon und auf der Terrasse. Das tönt einigermassen altertümlich und fast rückwärtsgewandt – könnte aber wieder topmodern werden. Und zur Sicherheit geben wir dem frisch geborenen alten Kind auch gleich noch einen schönen Namen:
Home Farming.
Hier kann ich mir durchaus auch technologische Fortschritte vorstellen: sozusagen das gleiche, was jetzt im Supermarkt läuft, runtergebrochen auf die Bedürfnisse des Haushalts. Wer jetzt lächelt und das als vorgestriges Denken abtut, ist falsch informiert: Dieses Home Farming ist aktuell 1000 x weiter verbreitet und viel viel wichtiger, als der aktuelle und wohl auch zukünftige Stand des Vertical Farmings. Warum nicht hegen und pflegen, was wir schon haben? Die Weiterentwicklung des Home Farmings scheint mit deshalb auch ungleich erfolgsversprechender, als einen neuen Layer der industriellen Landwirtschaft anzulegen, der überdies die alte Landwirtschaft obsolet machen und dem Staatstropf überlassen will. Und dieses alteneue und bescheidene Home Farming ersetzt auch nicht andere Produktionsformen, sondern ergänzt sie nur. Welche Produktionsformen dann schlussendlich welche Bedeutung erlangen, das entscheidet der Markt. Und dieser hat sicher mit Zahlen und Technik, aber immer auch mit Gefühlen, mit Lust und Freude und Abneigung zu tun. Die Tomate im Topf bei mir zuhause ist mir definitiv viel lieber als die Retortentomate an einer vertikalen, verglasten Wand. Und im Zweifelsfalle ziehe ich den Salatkasten in meiner Küche einem städtischen Vertical Farming Turm vor.
Um auch noch die letzten Zweifel auszuräumen: Wir alle, die wir Obst und Beeren und Gemüse und Kräuter zuhause produzieren, machen nichts anders als – Home Farming. Und das ist eine der Zukünfte der Landwirtschaft.
Kompliment an den Autor
Mit grossem Vergnügen lese ich Ihre wöchentlichen Artikel auf lubera.com. Ihr stilsicheres Deutsch, Ihre Redegewandtheit und den gut platzierten Sarkasmus und eine Prise Ironie sowie die selbst-reflektierende Art, machen Ihre Artikel zu einem sehr angenehmen Lesevergnügen, welches mich immer wieder zum schmunzeln oder Nachdenken bringt.
Ich habe Ihren Online-Versand während der Corona-Krise, als alle Gärtnereien geschlossen hatten, entdeckt. Tatsächlich konnte ich mich aufgrund diverser Youtube-Kanäle für die Hobby-Gärtnerei begeistern lassen. Insbesondere das Konzept einer nachhaltigen Permakultur gefällt mir sehr gut. Für meinen Mann ist meine neu entdeckte Begeisterung für den Garten ein kleines Wunder, habe ich doch als Kind und Jugendliche Gartenarbeit im Garten meiner Eltern verabscheut und lieber Toiletten geschrubbt, als mich in die Nähe von Mutter Erde zu wagen.
Unser erster Versuch ist sehr gut verlaufen. Wir haben 18 verschiedene Tomaten-Sorten angepflanzt (auch alte schmackhafte Sorten, die man im Supermarkt nicht erhält). Wir haben bisher sicher um die 18-20 kg Tomaten ernten können. Dazu Bok Choi, Salat, Kohlrabi, Erdbeeren und Physalis. Im Moment reifen noch die Kürbisse und Süsskartoffeln sowie die essbaren DeliDahlien von Lubera. Im nächsten Jahr freuen wir uns auf Blaubeeren, Kirschen, Pfirsiche sowie Äpfel und Birnen (auch von Lubera). Der Erfolg unseres Topf-Gartens (wir besitzen leider keinen eigenes Land, dafür drei riesige Balkone) ist sicher auch den hilfreichen Tipps und Instruktionen von Lubera zu jeder Pflanze geschuldet. Auch das Fragen zu gekauften Produkten rasch und ausführlich beantwortet werden, hat uns sehr geholfen.
Ihrem Artikel zu Vertikal Farming stimme ich zu 99% zu. Home Farming im herkömmlichen Stil ist ein einfaches, kostengünstiges und gut bewährtes Konzept. Wenn es allerdings mit der Vermarktung von 'Vertikal Farming' möglich ist, mehr Menschen für die Gärtnerei zu begeistern, dann ist mir jedes Mittel recht. Vielleicht kommen die Kunden von 'Vertikal Farming' irgendwann auch darauf, dass Home Farming im traditionellen Sinn günstiger und einfacher ist, als teurer angelegte vertikale Gärten.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Artikel auf lubera.com und die hervorragende Betreuung durch das Lubera-Team. Ich freue mich schon auf mehr..
Freundliche Grüsse
Ruth Isensee-Steiner
Herzlichen Dank für die Komplimente. Es freut uns sehr, dass Ihnen unsere Gartenbriefe gefallen und dass wir ein stückweit dazu beitragen durften, Sie für das Hobby-Gärtnern begeistern zu können. Wir freuen uns Sie als Kundin zu haben und Sie bei der Realisierung Ihrer Garten/Balkon-Ideen unterstützen zu dürfen. Wir wünschen Ihnen weiterhin gutes Gelingen und viel Freude beim Gärtnern!
Herzliche Grüsse
Ihr Lubera-Team